Donnerstag, 13.03.2025

„Finding Ivy. Ein lebenswertes Leben“ – Wanderausstellung im St. Rochus-Hospital Telgte

Am gestrigen Nachmittag wurde die Wanderausstellung „Finding Ivy. Ein lebenswertes Leben“ des Lern- und Gedenkortes Schloss Hartheim (AT) feierlich im St. Rochus-Hospital Telgte eröffnet. Bis zum 09. April 2025 lädt die Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik gemeinsam mit dem Verein Erinnerung und Mahnung Telgte e.V. nun alle interessierten Bürgerinnen und Bürger ein, die Ausstellung im Foyer vor der Krankenhauskirche zu besuchen und sich mit dem Schicksal von in Großbritannien geborenen Menschen auseinanderzusetzen, die während der nationalsozialistischen „Aktion T4“ ermordet wurden.

Auf beunruhigende Darstellungen wird hierbei bewusst verzichtet. Vielmehr werden die individuellen Lebensgeschichten der zu Opfern gemachten Menschen beleuchtet – unter anderem auch die von Gladys Strauss, einer jungen jüdischen Frau, die einst aufgrund einer Schizophrenie im St. Rochus-Hospital behandelt wurde.

Eine Ausstellung mit aktueller Bedeutung

Zur Eröffnungsveranstaltung in der Kirche des St. Rochus-Hospitals kamen neben Mitarbeitenden, Patientinnen und Patienten sowie Nachbarinnen und Nachbarn der Klinik auch geladene Gäste aus Politik, Kirche und Gesundheitswesen. Unter ihnen befanden sich auch Bürgermeister Wolfgang Pieper und Schwestern der Mauritzer Franziskanerinnen.

Der Ärztliche Direktor des St. Rochus-Hospitals, Prof. Dr. Matthias Rothermundt, betonte in seinem Grußwort die aktuelle Relevanz der Ausstellung: „In Zeiten, in denen Intoleranz und Vorurteile in unserer Gesellschaft wieder präsenter sind, ist es unsere Aufgabe sicherzustellen, dass die Würde und die Rechte aller Menschen – insbesondere der Schwachen und Verletzlichen – geschützt werden.“

Historische Forschung als Brücke zur Gegenwart

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand der Vortrag von Dr. Barbara Elkeles, Vorsitzende des Vereins Erinnerung und Mahnung Telgte e.V. und Teil des internationalen Forschungsteams, das die Ausstellung entwickelte. Sie schilderte, wie „interdisziplinäre Detektivarbeit“ nötig war, um die Schicksale der dreizehn britischen Opfer der „Aktion T4“ zu rekonstruieren. Archivmaterial aus drei Ländern sowie persönliche Zeugnisse von Angehörigen haben es ermöglicht, jenen Menschen ihre Geschichte zurückzugeben. „Ihre Schicksale zeigen“, so Dr. Barbara Elkeles weiter, „wie schnell Ausgrenzung in ein ganzes System hineingreifen kann – und das ist eine Mahnung an uns alle.“

Besondere emotionale Resonanz rief die von ihr recherchierte und für die Ausstellung aufbereitete Lebensgeschichte von Gladys Strauss hervor, die auf Anordnung der NS-Behörden nach ihrer Behandlung im St. Rochus-Hospital deportiert und am 29. September 1940 in einer Tötungsanstalt ermordet wurde. Dass ihr Weg ausgerechnet an einem Ort endete, der eigentlich Heilung bieten sollte, beschreibt Dr. Barbara Elkeles als einen eindringlichen Hinweis darauf, „wie eng die nationalsozialistischen Verbrechen mit Einrichtungen verknüpft waren, die wir heute als Schutzräume begreifen.“

Anschließend lud Peter van Elst, Seelsorger des St. Rochus-Hospitals, die Gäste ein, sich die Ausstellung im Foyer vor der Kirche anzusehen und miteinander ins Gespräch zu kommen.

Den feierlichen Rahmen der Eröffnung vervollständigte die musikalische Begleitung durch das Saxophon-Quartett „Saxibylla“ vom Jugendblasorchester des Maria-Sibylla-Merian-Gymnasiums Telgte.

Daniel Freese, Geschäftsführer des St. Rochus-Hospitals, hob im Anschluss an die feierliche Eröffnung hervor, dass dieser Ausstellungsort bewusst gewählt sei: Ein Krankenhaus sei „sowohl ein Ort der Medizin als auch ein Ort der Menschlichkeit.“ Deshalb werde die Vergangenheit hier aktiv aufgearbeitet, „damit sich jeder Mensch in seiner Würde geschützt weiß“ – gerade in einer Einrichtung, die sich psychisch erkrankten Menschen widmet.

Besuch der Ausstellung

Die Ausstellung „Finding Ivy. Ein lebenswertes Leben“ ist noch bis zum 09. April 2025 täglich von 08:00 bis 18:00 Uhr im Foyer vor der Kirche des St. Rochus-Hospitals zu sehen. Alle interessierten Bürgerinnen und Bürger sind herzlich willkommen. Nach terminlicher Absprache werden auch Gruppenführungen angeboten. Interessierte wenden sich bitte an Frau Dr. Barbara Elkeles, Vorsitzende des Vereins Erinnerung und Mahnung e.V.: b.elkeles(at)erinnerung-und-mahnung.de

 

Vertiefende Informationen: 

Das Schicksal von Gladys Strauss

Gladys Rosie Iris Marx, geboren 1910 in London, wuchs nach der frühen Scheidung ihrer Eltern in Berlin auf. Dort heiratete sie mit nur 22 Jahren den deutlich älteren Kaufmann Fritz Strauss. Die Repressalien des NS-Regimes trafen das Ehepaar schon 1933. Ihre psychische Erkrankung verschlimmerte sich so, dass Gladys in mehreren Anstalten behandelt wurde – unter anderem im St. R.-Hospital in Telgte. Schließlich musste sie auf Anordnung des Innenministeriums im September 1940 nach Wunstorf verlegt werden. Von dort wurde sie wenige Tage später in die Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel deportiert. Am 29. September 1940 wurde sie dort mit Kohlenmonoxid ermordet, kurz vor ihrem 30. Geburtstag.

Ihr Schicksal verdeutlicht, wie eng die Verbrechen der NS-Zeit mit Orten verbunden sind, die heute als Heilungs- und Schutzräume gelten. „Finding Ivy. Ein lebenswertes Leben“ erinnert an Gladys Strauss und weitere Opfer, deren Leben im Zeichen einer menschenverachtenden Ideologie für „unwert“ erklärt wurde – und regt dazu an, Verantwortung für die Schwächsten in unserer Gesellschaft zu übernehmen.